deutscher landschaftsarchitekturpreis 2021
E s s a y
Das Paradies bewahren
Margot Käßmann
Welche Schnittmenge hat eine Theologin mit Land schaftsarchitekten? Ich bin überzeugt, mit Blick auf die ethischen Herausforderun
Es gibt derer zwei in der Bibel. Der erste berichtet davon, dass Gott zunächst Himmel und Erde schuf, die Erde aber war Tohuwabohu – was bedeutet: öd und leer. Also trennt Gott zunächst Dunkel und Licht, Wasser und Land, lässt Bäume und Kräuter wachsen, anschließend die Tierwelt. Es entstehen blühende Landschaften, Gott selbst be fi ndet, es sei alles gut. Zuletzt wird der Mensch geschaffen als Mann und Frau. Fruchtbar sollen sie sein, sich die Erde untertan machen und über die Tierwelt herrschen. Aus dem Chaos entsteht Ordnung, eine Ordnung allerdings, die wir heute als problema tisch betrachten. Zum einen, weil im alten Israel eine hohe Geburtenrate zwar erstrebenswert war, wir heute aber mit der Herausforderung von bald acht Milliarden Menschen auf der Erde konfron tiert sind. Zum anderen, weil uns bewusst ist, dass der Mensch sich die Erde nicht nur untertan gemacht hat, sondern sie gnadenlos ausbeutet, nicht nur über die Tierwelt herrscht, sondern sie brutal behandelt als sei sie nicht Mitgeschöpf. Nun gibt es allerdings auch die zweite Schöp fungsgeschichte. In ihr schafft Gott zunächst einen paradiesischen Garten. Dann wird der Mensch ge schaffen, und weiter heißt es: „Er setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (1. Mose 2,15) Bebauen und Bewahren also statt Untertanmachen. Hinzu kommt die Frau, damit der Mensch nicht allein sei, direkt aus der Rippe des ersten Menschen geschaffen. Und weil sie klug wer den will, missachtet sie Gottes Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Sie reicht Adam die Frucht und der hat offenbar alle Vorsicht vergessen und beißt zu. In der Folge werden beide aus dem Garten Eden vertrieben. Vom wohltemperierten Zu stand also hinein in das Chaos der Welt. Kein Para dies mehr – ein Zustand, den wir noch heute täglich
gen unserer Zeit müssen wir über unsere jewei ligen Horizonte hinausdenken, um Verbindungen herzustellen und somit Kräfte zu bündeln. Gerade was die ökologische Herausforderung, die Frage nach Lebensräumen für die Zukunft betrifft, ist das ein Gebot der Stunde. Insofern ist es spannend, denke ich, sich auf ein Essay aus „anderer“, viel leicht fremder Perspektive einzulassen.
Die Sehnsucht nach dem Paradies
Lassen Sie sich zunächst mitnehmen auf einen klei nen biblischen Diskurs. Für manche ist die Bibel inzwischen eine fremde Welt. Für mich persönlich ist sie ein Glaubensbuch. Aber darüber hinaus es ist auch Teil von Bildung in unserem Kulturkreis, etwas von ihr zu wissen. Literatur, Architektur und Mu sik hierzulande lassen sich doch oft nur verstehen, wenn ich eine Ahnung von der Bibel habe. Höhe punkt war für mich eine kirchenpädagogische Füh rung durch die Marktkirche Hannover. Ein Junge sah im Altarbild den Gekreuzigten, Blut fl ießt aus der Wunde. Er sagte aus tiefstem Herzen: „Boah, was ist dem denn passiert?“ Wir haben versucht, ihm die Geschichte in Kurzfassung zu erzählen. Aber ich bin durchaus aus schon gefragt worden, was die Pluszeichen auf Kirchendächern bedeuten… Wenn wir aus biblischer Perspektive über Natur und Landschaft nachdenken, kommt mir zuallererst die Schöpfungsgeschichte in den Sinn.
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