deutscher landschaftsarchitekturpreis 2021

E s s a y

Nein, ein Paradies wird die Erde nicht. Aber Anklänge an den Garten Eden können wir gestal ten. Und wir können hinschauen, und neu lernen, über das zu staunen, was die Natur schafft. In den Gärten dieser Erde, in Landschaften, in Wäldern. Damit komme ich zu einer neutestamentli chen Konnotation. „Schaut die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spin nen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.“ (Mt. 6, 28f.). Das ist eine Passage, die uns nach dem Ver stehen und Lernen, mit Blick auf das Engagement und die Notwendigkeiten noch etwas ganz anderes mitgibt: Das Staunen. Ich liebe es bis heute, die ersten Kastanien in der Manteltasche zu haben. Wie glatt sie sind, wie wunderbar ihre dunkelbrau ne Farbe. Es berührt mich, wenn meine Enkel kinder rufen: „Omi, schau mal, der Schmetterling!“ Oder wir zusammen Blumen sehen, ihre Schön heit würdigen. Solange wir noch staunen können in unserer hochtechnisierten Welt, haben wir die Ehrfurcht vor dem Leben nicht verlernt. Und nur aus solcher Ehrfurcht kann auch der Einsatz für alles Leben, alle Kreatur, sei sie menschlich, tie risch oder p fl anzlich wachsen. Und wer Ehrfurcht hat, wird sich dafür einsetzen, dass erhalten wird, was geschaffen ist. Dabei birgt genau diese Natur auch Hoffnung in einer Welt, in der wir gerade schockiert erleben müssen, dass Machtgier, Gewalt und Krieg immer wieder die Oberhand gewinnen. Wir fühlen uns hilf los und ohnmächtig. Mich ermutigt ein Lied: Von den Nazis be drängt verließ der jüdische Theologe Fritz Rosenthal 1935 mit 22 Jahren Deutschland und ging nach Jerusalem. Er änderte seinen Namen in Schalom

Ben-Chorin: Friede, Sohn der Freiheit. 1942, wäh rend die Shoah tobte, dichtete er:

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit. Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg. Bei Propheten Jeremia steht der Mandelbaum als Zeichen dafür, dass Gott über seine Schöp fung wacht. Angesichts des Massenmordes an den europäischen Juden erscheint das Lied naiv, weltfremd, als ob es das Leid ignoriere. Aber das tut es eben nicht. Es zeigt die trotzige Hoffnung, dass Gott nicht abwesend ist, das Versprechen nach der Sint fl ut noch gilt. Ein Mandelbäumchen vor seinem Fenster wurde zum Hoffnungssymbol von Shalom Ben Cho rin. Denn er blüht, auch wenn auf den Hügeln rings um Jerusalem noch Winter herrscht. Es wird erzählt, dass dieses Mandelbäum chen eines Tages einem Supermarktparkplatz weichen musste. Aber mit der Kraft der Natur brach ein Spross durch den Teer hindurch. Das hat Menschen derart gerührt, dass das Bäumchen heute gut geschützt dort in Jerusalem steht als Zeichen der Hoffnung. Ob diese Geschichte wahr ist, weiß ich nicht. Aber sie steht für die Hoffnung,

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