deutscher landschaftsarchitekturpreis 2021
für Sehnsuchtsorte, Freiräume, Bewegungsräu me. Viele Kinder in unserem Land können nicht mehr balancieren – weil sie kaum noch solche Orte haben. Bewegungsräume, freie Natur, das sind auch Sozialräume. Da begegnen sich Menschen, Junge und Alte, Arme und Reiche. Ein paar Beispiele, was es anzupacken gilt: • Wir brauchen Fantasie! Wenn ich auf dem Tem pelhofer Feld in Berlin spazieren gehe – meine jüngste Tochter wohnt in unmittelbarer Nähe – bin ich oft fasziniert, was da entstanden ist. Gärten aller Art. Regionen für Skater, für Radfahrer, für Fußgänger. Tausende sind an schönen Tagen dort unterwegs. Menschen in der Großstadt mit einer Sehnsucht nach Frischluft. Das muss doch auch in anderen Städten möglich sein. • Eines der deprimierendsten Bilder für mich war im ersten Lockdown 2020 der Anblick von Absperrbändern rund um Kinderspielplätze in der Eilenriede, einem großen Waldgebiet mitten in Hannover. Kinder brauchen Bewegung. Kinder brauchen Natur. Sie müssen balancieren können auf Baumstämmen, Baumhäuser bauen, über P fl anzen staunen dürfen. Moos suchen, Blumen p fl ücken, Kastanien sammeln. Am Bach spielen, mit Wasser pantschen, Steine werfen, Stöcke schnitzen. Das sind Bilder einer guten Kindheit in unseren Breitengraden. Ich will sie nicht idealisie ren. Aber Bewegung in freier Natur, Abenteuer im geschützten Raum, das alles gehört dazu. Das muss wieder möglich werden in unseren Städten. Es kann nicht sein, dass Familien aufs Land ziehen müssen, weil es an bezahlbarem Wohnraum man gelt in der Stadt und das gesamte Umfeld nicht kindgerecht ist. • Wir brauchen Lernorte: Das können zum Bei spiel Schrebergärten sein – denn sie haben sich
verändert. Dort wächst nicht mehr alles in Reih und Glied, sondern auch hier gibt es Vielfalt. Das gilt inzwischen auch für Friedhöfe. Auch dort ist nicht mehr alles normiert. Sondern es gibt Urnen felder, Aschestreufelder, Bäume, unter denen wie in Friedwäldern Asche verstreut wird. Der Friedhof kann in der Stadt neben dem Erinnerungsort auch Erholungsort sein. • Baumpatenschaften gibt es bereits. Und an ei nigen Orten werden Obstbäume versteigert. Doch was ist es für ein Wahnsinn, wenn Obst im Super markt gekauft wird, aber ungeerntet und ungeach tet von den Bäumen fällt. • Es ist gut, wenn Felder sich verändern, wenn sich die Landwirte von den Monokulturen verabschie den. Ich sehe immer öfter Felder, die umgrenzt sind beispielsweise von Sonnenblumen. Spannend zu sehen ist auch: Es gibt wieder mehr naturnahe Hecken. Und Holz wird aufeinandergelegt, damit dort Insekten nisten können – von Insektenhotels ganz zu schweigen. • Diversität ist inzwischen als soziologische Ka tegorie hoch anerkannt. Wir wollen bewusst in Vielfalt miteinander leben und sehen das als Be reicherung. Diese Vielfalt muss auch in unserer Landschaft Einzug halten. Kurzum: Wir brauchen eine breite Bewe gung für unsere Mitwelt. Es geht darum, sich als Teil der Schöpfung, säkular gesprochen, als Teil des Ganzen zu verstehen. Der Mensch ist nicht Oberhaupt von allem, nicht Krone der Schöpfung. Aber er kann kreativ sein, Neues denken: Biotope in Großstädten; Begrünung von Fassaden; Spiel fl ächen mitten in der Stadt. Wir – jeder Einzelne von uns – müssen umdenken. Aber auch die Politik muss es. Städte sollten nicht autogerecht, son dern menschengerecht sein.
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